Hintergrund

Santiago, 11. September 1973.

Die Streitkräfte und Carabineros Chiles erklären: Erstens: Der Präsident der Republik hat sein Amt unverzüglich an die Streitkräfte abzugeben. Zweitens: Streitkräfte und Carabineros haben sich vereinigt, um Chile vom marxistischen Joch zu befreien. Gezeichnet: General Augusto Pinochet Ugarte. (Radio-Kommuniqué der Putschisten)

5.15 Uhr Roberto Sánchez, der Pressesprecher Allendes, erhält einen Anruf. Ihm wird ausgerichtet, dass Allende freier Abzug zugesichert würde, wenn er bereit sei abzudanken. General Augusto Pinochet erteilt General Xavier Palacios das Kommando über die Panzereinheit, die die Moneda abriegeln und einnehmen soll.

6.15 Uhr Allende wird vom General der Carabineros, Urrutia, in seinem Haus in Tomás Moro über den Aufstand der Marine in Valparaíso informiert.

7.00 Uhr Die für die Sicherheit Allendes verantwortlichen Polizisten, darunter Juan Seone, werden informiert, dass der Präsident in die Moneda kommen wird.

7.15 Uhr Allendes Chauffeur Julio Soto trifft ein. Sofortige Abfahrt in die Moneda, zur Eskorte gehören Juan Seone, Isidro García und Juan Osses.

“Auf dem Weg in die Moneda war alles völlig still, wie ausgestorben. Es schien, als seien wir die einzigen, die vom Staatsstreich nichts mitbekommen hatten. Dass niemand auf der Straße war, bedeutete ja, dass die Leuten wussten, dass irgend etwas vor sich ging.” (Isidro Garcìa)

7.30 Uhr Ankunft Allendes in der Moneda. Die regierungstreuen Carabineros bereiten sich auf die Verteidigung vor.

“Ich kam sehr früh an, gegen 7 Uhr. Die Moneda war mit Panzerwagen der Polizei umstellt, die noch die Regierung verteidigt haben.” (Osvaldo Puccio)

7.45 Uhr Allende telefoniert mit seiner Familie. Seine Töchter und Enkel sollen nach Tomás Moro, weil er sie dort sicherer wähnt.

“Man rief mich frühmorgens an: Es gebe Probleme. Der Präsident brauche mich und weitere Ärzte.” (Arturo Girón)

8.00 Uhr Erste Radioansprache Salvador Allendes.

8.03 Uhr Allende zeigt sich letztmals auf dem Balkon der Moneda.

“Für mich war es ein besonderer Tag, denn ich sollte heiraten, um neun Uhr morgens, direkt neben der Moneda. Das ging mir im Kopf herum und hat mir Probleme gemacht. Aber wir waren schon in Aktion.“ (Juan Osses)

8.30 Uhr Innenminister José Tohá trifft in der Moneda ein, wo er zunächst den wartenden Journalisten Interviews gibt.

8.40 Uhr Ankunft von Allendes Leibarzt Arturo Girón

8.42 Uhr Erste offizielle Kommunikation der Putschisten. Allende wird informiert, dass der Aufruf zu seiner Abdankung von Pinochet unterschrieben wurde. Er macht eine Geste mit den Fingern und wiederholt mehrmals: “Drei Verräter.”

8.45 Uhr Roberto Sánchez trifft in der Moneda ein und überbringt die Botschaft der Putschisten, dass Allende freier Abzug gewährt würde. Allende lehnt ab.

8.53 Uhr Pinochet fordert aus seinem Kommandostand in den Hügeln über Santiago abermals die bedingungslose Aufgabe Allendes.

8.58 Uhr Ansprache Salvador Allendes an die chilenische Bevölkerung über Radio Magellanes. Im Hintergrund sind Kampfflugzeuge zu hören.

9.00 Uhr Allendes Tochter Isabel gelangt, wie sie sich erinnert, als letzte Person in die mittlerweile von den Putschisten abgeriegelte Moneda.

9.02 Uhr Allende setzt sich mit Radio Magellanes in Verbindung und hält dann seine letzte Radioansprache.

“Seine letzte Ansprache... Er hielt sie so, mit dem Telefon am Ohr und dem Helm auf dem Kopf. Er hielt sie ohne Skript, sie floss ihm aus dem Herzen. Ich weiß das mit Sicherheit, ich stand direkt neben ihm.” (Carlos Jorquera)

“Diese wird wohl meine letzte Gelegenheit sein, zu euch zu sprechen. Die Luftwaffe hat Radio Portales und Radio Corporación bombardiert. Bald werden sie auch Radio Magallanes zum Schweigen bringen, und meine Stimme wird euch nicht mehr erreichen. Das macht nichts. Ich werde immer mit euch sein, wenigstens in der Erinnerung an jemanden, der der Sache der Arbeiter treu war. In einer Zeit des historischen Umbruchs bezahle ich die Treue des Volkes mit meinem Leben. (...) Machen Sie weiter in der Gewissheit, dass schon sehr bald wieder freie Menschen auf den Boulevards unterwegs sein werden, um eine bessere Gesellschaft zu schaffen.” (Salvador Allende)

9.20 Uhr Nächstes Ultimatum der Putschisten zur Aufgabe

9.30 Uhr Panzer eröffnen mit Maschinengewehren den An
griff auf die Moneda. Die Verteidiger postieren acht Scharfschützen, darunter Isidro García.

10.30 Uhr Dr. Girón findet Allende, der von einem der Balkone auf die Angreifer feuert. Girón zieht den Präsidenten zurück ins Gebäude.

Allende beruft eine Sitzung im Salon Toesca ein. Er teilt seine Entscheidung mit, unter allen Umständen zu bleiben, und stellt es den Anwesenden frei zu gehen. Alle entscheiden sich zu bleiben.

10.50 Uhr Ultimative Aufforderung der Putschisten zur Aufgabe bis 11 Uhr, andernfalls werde die Moneda aus der Luft bombardiert. Allende besteht darauf, dass seine Töchter Isabel und Beatriz die Moneda verlassen. Er begleitet sie zur Tür und verabschiedet sich. Laut Dr. Girón versteckt sich Allendes Assistentin Payita, um entgegen der Anweisung Allendes im Gebäude bleiben zu können.

11.40 Uhr Die Moneda steht unter starkem Beschuss, die Räume sind voller Rauch, das Erdgeschoss steht unter Wasser.

12.02 Uhr Beginn der Bombardierung aus der Luft. Der Polizist David Garrido zählt insgesamt 24 Einschläge bei dieser Angriffswelle.

“Dann hat es angefangen zu brennen. Das Feuer kam von rechts und zog sich bis hier her, reichte aber nicht ganz bis zu uns. Alles brannte. In gewisser Weise war das unsere Rettung. Denn das Feuer saugte das Gas ab, mit dem sie uns beschossen hatten. Wir konnten wieder atmen.” (Juan Seoane)

12.15 Uhr Carlos Jorquera findet seinen alten Freund Augusto Olivares, der Selbstmord begangen hat.

“Es gab einen Anruf. Ich habe das Bild noch vor Augen: die Bahre mit dem Leichnam von Olivares, daneben Dr. Bartulin und rechts davon der Präsident Allende mit Kalashnikow und Helm. Ich sagte zu ihm: ‘Herr Präsident, da ist ein Anruf für Sie.’ Er ging ans Telefon, ich beobachtete ihn dabei. Er beschimpfte den Anrufer als Verräter und sagte ihm, dass er sich nicht ergeben werde.” (Juan Osses)

Einstellung des Bombardements. Allende schickt vier Emissäre, darunter Vater und Sohn Osvaldo Puccio, zu Verhandlungen mit den Putschisten nach draußen.

Juan Osses, der nichts von dem Verhandlungsauftrag Allendes weiss, vermutet Verrat und stürzt den Emissären hinterher, um das Feuer auf sie zu eröffnen. Das schwere Gegenfeuer der Belagerer zwingt ihn in die Moneda zurück.

Die Emissäre, die von den Vorgängen in ihrem Rücken nichts mitbekommen haben, werden von einem Militärfahrzeug abgeholt und ins Verteidigunsgministerium gebracht, wo man sie kurz darauf verhaftet.

“Eine Gruppe versammelte sich um den Präsidenten und fragte: ‘Was sollen wir machen? Es gibt ein Massaker. Wir können uns nicht verteidigen!” (Arturo Girón)

13.30 Uhr Juan Seoane wird über eine noch funktionierende Sprechanlage neben der Galerie des Präsidenten angerufen. Der Präfekt Carrasco Montecinos informiert ihn, dass die Direktion der Zivilpolizei zurückgetreten sei und das Hauptquartier geräumt habe. Das Militär kontrolliere die Situation, jeder Widerstand sei zwecklos. Der Präsident wird über den Anruf informiert.

“In diesem Moment entschied der Präsident, dass wir uns ergeben sollten. Er sagte: ‘Bildet eine Reihe und geht nach draußen, einer nach dem anderen, ohne Waffen. Ich gehe als Letzter.” (Arturo Girón)

“Dann hat sich Allende von uns allen verabschiedet. Er gab mir die Hand und sagte: ‘Vielen Dank, Juan’, dann ging er weiter, bis zum Letzten in der Reihe.” (Juan Seoane)

14.05 Uhr Allende erschießt sich in einem Nebenraum der Moneda..

“Er drehte sich halb um, trat in diesen Raum und sagte: ‘Allende ergibt sich nicht, Scheiße.’ Dann setzte er die Kalashnikow an den Kopf und drückte ab.” (Juan Seoane)

15.00 Uhr Die letzten verlassen die Moneda. Zwei Tage später werden die meisten von ihnen nach schweren Folterungen erschossen. Von den Leibwächtern Allendes überleben nur fünf, weil sie irrtümlich einer anderen Gruppe zugeordnet wurden. Unter den Überlebenden ist Juan Osses.

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