Hintergrund

Mit dem Blick von heute
Interview mit dem Regisseur Michael Trabitzsch

Wie entstand die Idee, einen Kinofilm über Allende zu machen?

Der Stoff hat sich uns während der Recherche zu einer TV-Dokumentation, die eine Chronik der Regierungszeit Allendes liefern sollte und für ARTE/BR und einige andere ARD-Anstalten produziert wurde, in gewisser Weise ‚aufgezwungen’. Ich stieß zunächst auf Osvaldo Puccio, was nicht verwunderlich war, da er eine sehr bekannte Persönlichkeit im heutigen Chile ist. Über ihn kam ich zu Juan Osses, dann zu Isidro Garcia. Nach und nach gruppierte sich um uns die Personnage, die letzten Zeugen dieses grausamen, dramatischen Finales vom 11. September 1973. Nachdem die Beteiligten von damals uns und unser Interesse akzeptiert hatten, nämlich über diese Ausnahmesituation der ‚letzten Stunden’ vor einem fast sicheren Tod zu erzählen, ergaben sich durch Empfehlungen die weiteren Ansprechpartner wie von selbst.

Wir haben die Protagonisten danach ausgewählt, wie nah sie in diesen letzten Stunden Allende waren, wie sehr sie selbst diese existentielle Frage zu beantworten hatten, die sich Allende stellte: sich zu ergeben oder den eigenen Tod in Kauf nehmen. Das finde ich hochdramatisch, zumal man nicht vergessen darf, dass die meisten Beteiligten damals unter 30 Jahre alt waren. Sie mussten innerhalb eines Vormittages mit ihrem Leben abschließen und diese Entscheidung treffen.

War es schwer, die Protagonisten Ihres Films davon zu überzeugen, aus der Distanz von 30 Jahren vor der Kamera über die damaligen Ereignisse zu erzählen?

Die Bereitschaft zu erzählen war unterschiedlich. Juan Osses z.B. wollte und hat sehr viel erzählt, weil die Geschichte jenseits der Mythenbildung bisher kaum erzählt wurde: also die existentielle Seite dieses Dramas auf Seite derer, die bereit waren, für ihre Vision oder für Allende zu sterben. Andere wie Carlos Jorquera, der z.B. die letzte Rede Allendes direkt neben ihm miterlebt hat, waren zunächst eher spröde und skeptisch. Zum einen, weil diese Zeit und dieser dramatische Ausgang ihr Leben war und bis heute ist und sie das nicht ohne weiteres Außenstehenden preisgeben. Zum anderen auch aus einem gewissen Mißtrauen heraus, aus der Befürchtung, dass man z.B. den Selbstmord Allendes als Vorwand nehmen könne, um die Gewalt des Putsches heute zu relativieren.

Ich habe dabei überhaupt keine Tendenz zur Verklärung erlebt bei denen, die ganz nah an Allende und den Ereignissen des 11. September waren. Das hat wahrscheinlich den Grund, dass sie mit dem Tod rechnen mussten, dass sie viele andere sterben sahen, dass sie einen unermesslichen Preis für ihr Engagement gezahlt haben. Sie sehen die „Geschichte“ sehr nüchtern und eher zurückhaltend. Aber es ist zugleich immer auch ihre Geschichte und sie haben durchaus ein starkes Bewußtsein und Selbstbewußtsein davon, dass sie unmittelbar an einer doch ziemlich herausragenden Episode des 20. Jahrhunderts beteiligt waren. Und sie haben ein Bewußtsein davon, warum diese Episode einer politischen Utopie für Lateinamerika nicht wirklich „tot“ ist, nicht ganz der vergangenen Geschichte angehört.

Es verwundert, mit welcher Offenheit der ehemalige Vertreter von Patria y Libertad über die damaligen, offensichtlich terroristischen Aktivitäten seiner früheren Organisation spricht.

Es war tatsächlich nicht einfach, jemanden von Patria y Libertad zu finden. Diese Leute haben Attentate und Sabotage verübt und wurden von der CIA und den Rechtsparteien finanziert. Schließlich sind wir auf Roberto Thieme gestoßen, den damaligen zweiten Mann von Patria y Libertad, der später zum Dissidenten wurde und selbst ins Exil musste. Er war bereit, offen und direkt Auskunft zu geben – bis auf die eine Ausnahme, nämlich inwieweit er selbst in Mordanschläge damals verwickelt war.

Mit welchen dramaturgischen Überlegungen sind Sie an den Stoff gegangen?

Wir wollten einen Film von heute aus machen, für ein Publikum von heute, das die Geschichte von 1973 nicht unbedingt aus eigener Erfahrung kennt. Wir wollten nicht den soundsovielten historischen Film über Allende machen. Was mich bewegt und fasziniert hat, war erstens der Rebell Allende, zweitens der Moralist Allende und schließlich diese existentielle Entscheidung der letzten Stunden, der einfache und gnadenlos konsequente Satz: „Allende ergibt sich nicht, Scheiße.“ Für mich sind alle emotionalen und menschlichen Abgründe in dieser Person enthalten, und deswegen bewegt sie mich heute. Weniger als historische Persönlichkeit, sondern als Mensch, der gegen seine Zeit rebelliert. Aus dieser Perspektive sollte der Film erzählt werden.

Dazu gehörte, dass wir unsere Protagonisten in ihrem Alltag porträtieren wollten. Darüber hinaus gab es die Verabredung, mit einigen von ihnen unabhängig von einander zum Präsidentenpalast zu gehen, um eine Art von physischem Gefühl dafür zu bekommen, wie und wo sie die Ereignisse des 11. September erlebt haben. Gedreht haben wir mit einem kleinen Team, mit einem chilenischen Tonmann und Aufnahmeleiter und, je nach Situation, mit bis zu drei Kameras.

Auf den ersten Blick überrascht die Musikauswahl Ihres Films, Bésame mucho statt El pueblo unido...

Es war für uns grundsätzlich wichtig, nach dramaturgisch-emotionalen Kriterien von heute zu entscheiden, statt eine getreue historische Rekonstruktion im Auge zu haben. Die Musikauswahl z.B. ist dem Land und der Epoche nicht fremd, aber einzig nach emotionalen Punkten ausgewählt: Stolz und Rebellion, wie im Lied von Mercedes Sosa. Als wir mit Carlos Jorquera und Rafael Gonzáles im Restaurant waren, kam durch Zufall ein Gitarrist und spielte Bésame mucho. Die beiden unterbrachen ihr Gespräch und sangen mit. Es war ein ganz eindeutiges Gefühl: diese Melancholie, die auch viel Schönes hat, entspricht ihrer Stimmung, ist ihnen sehr nah. Von dem Moment an haben wir dieses Lied als Leitmotiv genommen. Später haben wir den Gitarristen ausfindig gemacht und sind mit ihm in Santiago noch ins Studio gegangen. Die komponierte Musik von Wolfgang Loos ist von diesen Vorgaben abgeleitet, Spannung und Gefühl weiterzutragen und zu unterstützen.

Unter diesem Aspekt haben wir auch Bilder aus dem heutigen Chile verwendet, Alltagsaufnahmen, die in ihrem Schwarz-Weiß den Bogen von heute zu damals schlagen. Den Aufbruch Allendes in die Moneda in den frühen Morgenstunden des 11. September haben wir „nachgespielt“ – eine kurze Anmutung davon ist im Film. Das sollte kein Doku-Drama sein, sondern unsere Imagination bedienen: dass eine Entscheidung getroffen wurde und sich Menschen auf den Weg in eine Situation machen, die sie aller Voraussicht nach nicht überleben werden..

Sie haben Material aus verschiedenen Archiven genutzt, einiges davon noch unveröffentlicht. Wie sind Sie an diese Aufnahmen gekommen?

Wir haben tatsächlich sehr unterschiedliche Quellen recherchiert: die ehemaligen DDR-Archive, die der ARD, kanadische Produktionen und Material aus der ehemaligen CSSR. In Chile selbst haben wir weitere Aufnahmen recherchiert, die noch nie gezeigt wurden, die in Privatarchiven, beim chilenischen Fernsehen oder bei Universitäten lagen. Zur Materiallage muss man wissen, daß noch in der Nacht des 11. September Soldaten im Auftrag Pinochets die liberalen und linken Medien stürmten und in den Archiven alles zu vernichten suchten, was mit der Allende-Zeit zu tun hat. Es sollten keine Bilder und keine Erinnerungen an diese Zeit überleben.

Was fasziniert Sie an der Konstellation des 11. September 1973?

Vom Moment seiner Wahl an war Allende der David im Kampf gegen Goliath. Er hatte lange viel Glück und auch die Fähigkeit, in diesem ungleichen Kampf zu bestehen. Aber zum Schluß stand er in einer fast Shakespeareschen Situation sehr allein, auch wenn eine Woche vor dem Putsch mehr als 1 Million Menschen auf den Straßen von Santiago de Chile für ihn demonstrierten. Der Goliath, das waren immer die USA, die, was man nicht vergessen darf, alle opportunen Mittel einschließlich Attentaten und Mord billigten, um Allende zu verhindern. Dieser Aspekt gibt in unserem Film den Hintergrund ab für den Moment einer menschlichen Ausnahmesituation, in der so etwas wie Archetypen deutlich werden: Der Rebell gegen seine Zeit; der Glaube, dass es etwas gibt, was wichtiger ist als das eigene Überleben; der Glaube, dass Gerechtigkeit etwas ist, was mehr ist als die eigene Existenz; der Glaube an das Glück; die Kraft, dafür einen hohen Preis bezahlen zu können... Man kann das auch Würde nennen.

Hatten Allende und der “chilenische Weg” eine Chance?

Allende hatte eine Chance, sonst wäre er heute nicht mehr populär – die Geschichte überliefert keine vollkommenen Verlierer. Aber wie in einer schier aussichtslosen Liebe hat er viel Glück gebraucht, und das kann man nicht allein beeinflussen. Allendes Revolte war eine, die auch die Möglichkeit des Scheiterns mitdachte. Im Sinne von Camus war Allende ein Sisyphos, ein Mensch in der Revolte, zutiefst von der Würde des Menschen überzeugt; ein Mensch, der das Leben über alles liebte, was Würde und Freiheit mit einschließt. Dafür war er bereit, mit seinem Leben einzustehen.

Michael Trabitzsch

Geboren 1954 in Neumünster. Studium der Literatur und Philosophie in Göttingen und Berlin, anschliessend Promotion. Freiberufliche Tätigkeit als Journalist und Buchautor, Arbeiten für den Hörfunk, Regieassistenz und Produktionsleitung für Harun Farocki. 1990-92 Industrie- und Werbefilme. Seit 1992 freie Fernseh- und Hörfunkproduktionen; Gründung der Firma Prounen Filmproduktion.

Filmographie (Auswahl)

1992 Ein stiller Rebell. Der Bildhauer Wieland Förster
1993 Viertel der Verfolgten
1994 Von Saloniki nach Berlin
1995 Waffenlos ist der Held – Der Bildhauer Werner Stötzer
  Die Eisenfelds. Eine Familiengeschichte
1997 Lebendig wie die Steine. Krakaus Viertel Kazimierz
1998 Der Kampf um die Eliten.
– Ostdeutsche Universitäten
1999 Zeichnen bis zur Raserei
Der Maler Ernst Ludwig Kirchner
2001 La Strada del marmo – Die Marmorstraße

 

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